Die Subventionspolitik der EU


Konzernorientierte Agrarpolitik am Ende ? 

 

Jahrzehntelang hat die konzernnahe Agrarpolitik massiv dafür gesorgt, dass u.a. kleine Höfe systematisch in den Ruin getrieben wurden. Mit der Folge: Immer größere Höfe mit noch höheren Tierbeständen, steigende Güllemengen, monotone Anbauflächen usw. Alles naturfeindliche  Entscheidungen, die für einen Rückgang unserer Artenvielfalt stehen.  Es ist doch kein Zufall, dass mit dem Wegfall der kleinen, bäuerlichen Familienbetriebe die Natur auf dem Lande zeitgleich immer mehr gelitten hat.

 

Jedem vernünftig denkenden Menschen muss doch klar sein, dass diese Industriealisierung der Landwirtschaft zugleich mit massiven Eingriffen in der Natur verbunden ist. Denn ein landwirtschaftlicher Betrieb arbeitet,  im Gegensatz zu einem Industriebetrieb,  nicht in einem geschlossenen Raum sondern in einer offenen Umwelt. Auf unkrautfrei gespritzte Monoflächen mit viel Gülleeinsatz bleibt für die Natur einfach kein Platz mehr. Jahrzehntelang warnen Fachleute und Umweltorganisatoren vor diesem Dilemma. Aber konzernverbundene Politiker und Bauernvertreter haben es immer wieder geschafft, alle Veränderungen zu blockieren,  damit die Betriebe  mehr und immer billiger weiter produzieren können. Aber Dank der Umweltverbände und vieler Medien kommt die Wahrheit irgendwann immer mehr ans Licht. Erste Forderungen nach mehr Tierwohl und ökologischer Landwirtschaft können heute die verantwortlichen Minister nicht mehr ignorieren. Zurück zur Mutter Natur ist angesagt, denn Dank Corona haben viele Bürger auch erkannt, was wirklich im Leben zählt.

8.7.2020

 

 

Die Subventionpolitik der EU-Agrarminister ab 1958

Die Subventionspolitik der EU hat auch in unserem Dorf ihre Spuren hinterlassen. Sie war 1958 ins Leben gerufen worden, um in Europa die Nahrungsmittelknappheit in den Griff zu bekommen. Nach gut 10 Jahren war dieses Ziel  dank höherer Produktivität schnell erreicht worden. Statt der Nahrungsmittelknappheit tauchten jetzt neue Probleme auf:  Überproduktion und fallende Erzeugerpreise. Im Vergleich zu 1950 und 1970 konnte ein Landwirt statt 10 jetzt 27 Menschen ernähren. Im gleichen Zeitraum halbierte sich in Niedersachsen die Zahl der Milchkuhhalter von 238.00 auf 115.000 Betriebe.

Aber das Ende der Fahnenstange war noch lange nicht erreicht. In 2015 konnte ein Landwirt schon rd. 155 Menschen versorgen und die Zahl der Betriebe fiel weiter auf  rd. 9.300 Milchkuhhalter zurück. Diese Agrarapolitik hat es tatsächlich geschafft,  wie auch in meinem Heimatdorf,  dass von ursprünglich 20 Höfe nur ein einziger Betrieb das ganze überstanden hat.  Ärgerlich, dass angesichts der vielen Subventionszahlungen leider die kleinen, bäuerlichen Familienbetriebe das Nachsehen hatten.  Zwischen 1999 und 2016 halbierte sich die Zahl der  Bauernhöfe in Ostfriesland von rd. 6.000 auf rd. 3.000 Betriebe. Ein Trauerspiel,  dass für die betroffenen Landwirte mit viel Leid verbunden ist und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. 

 

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Vorab eine kurze Zusammenfassung der EU-Subventionspolitik:

Ab 1957:     Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wird gegründet

1960-1970: Durch die Preis- und Abnahmegarantien der EU entstehen riesige Milchseen und Butterberge

1970-1980:  EU zahlt Prämien für Hofaufgabe, bundesweit stellen 6 von 10 Höfe den Betrieb ein, die ersten Güllekeller werden gebaut

1980-1990: Die Milchquote soll in der EU die Produktion begrenzen, die Bauer können sich gegenseitig die Milchquoten abkaufen

1990-2000: Agenda 2000: Die Milchüberschüsse sollen jetzt auf dem Weltmarkt veräußert werden

2000-2010: Discounter drücken Preise, Die Grünen fordern bei Subvention auch die Umwelt, Klima, Wasser und Bodenzu berücksichtigen

2010 -2015          Die Milchquoten werden abgeschafft, EU fordert ein sog. Milchpaket (Milcherzeuger sollen sich zusammenschließen)

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Die Gründung der Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)

Da in Europa eine Lebensmittelknappheit herrscht, gründen die EU-Mitgliedsländer 1957 die Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Ziel der EWG war es, mit Hilfe eines Fonds die landwirtschaftliche Produktion hochzufahren. Um dieses Ziel erreichen zu können, wurden zunächst folgenden Beschlüsse der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im Juni 1962 umgesetzt:

Alle Produkte aus der EWG werden bevorzugt / Importeure außerhalb der EU haben einen Strafzoll zu zahlen und dürfen ihre Waren nicht billiger verkaufen / Einheitliche Mindestpreise für Getreide, Milch (sog. Milchpfennig), Butter und Fleisch werden garantiert.

Die Landwirte als auch die Molkereien brauchten sich um den Absatz ihrer Produkte keine Gedanken machen, da Überschüsse von der EWG aufgekauft und in Lagerhallen verbracht werden.

 

Traktoren ersetzen die Pferde:

Noch leben die meisten Nachbarn in meinem Heimatdorf von der Landwirtschaft.  Aufgrund der zuvor genannten Garantien kaufen die Bauern immer mehr Maschinen, um immer mehr und schneller produzieren zu können. Die Pferde auf den Höfen werden durch kleine Traktoren ersetzt. Ab 1968 kommen bei der Heuernte die ersten Niederdruckpressen zum Einsatz,  so dass das Heu gleich auf den Feldern in Ballenform gepresst werden kann. Pferdewagen mit losem Heu beladen sind kaum noch zu sehen. Auch Mähmaschinen werden nicht mehr von einem Pferd sondern von einem Traktor gezogen. Auf der Weide und in den Ställen werden für die Milchkühe Melkmaschinen eingesetzt. Für den Bauern eine sehr große Arbeitserleichterung. Kraftfutter, um die Milchleistung der Milchkühe zu erhöhen  steckt noch in den Kinderschuhen. Als Viehfutter bauen die Landwirte noch Korn und Rüben selber an. Die Milchleistung der robusten Kühe ist mit rd. 3.400 Liter/Jahr nicht hoch und sie werden rd. 15 Jahre alt. Auf den Feldern blühen noch  Blumen und in den Sommermonaten riecht es überall auf dem Land nach frischem Heu.

 

Was sonst passierte zwischen 1960 bis 1970:

1961: Die DDR beginnt mit dem Mauerbau  1962: Schwere Sturmflut in Hamburg  1963: Ludwig Erhard wird Bundeskanzler, US-Präsident Kennedy besucht Berlin, Volksaufstand 17. Juni 1964, Cassius Clay wird Weltmeister  1965: 26 Starfighter stürzen ab, Lottozahlen werden erstmals im TV übertragen  1966: Erste Proteste von Studenten gegen den Vietnam-Krieg  1967: Konrad Adenauer stirbt, erste Herztransplantation gelingt, die ersten Farbfernseher werden vorgestellt und  das Ende des Wirtschaftswunders kommt  1968: Atomwaffen-Sperrvertrag zwischen BRD und DDR, Truppen des Warschauer Pakts besetzen die CSSR, Martin Luther King wird erschossen, Einführung der Mehrwertsteuer mit 10 %    1969: Willy Brandt wird Bundeskanzler,  Mondlandung mit Apollo 11,  1,5 Mill. Gastarbeiter kommen nach Deutschland, erster Probeflug der Concorde, Woodstock mit 400.000 Besucher – 1970: Brandts Kniefall vor dem Nationalmahnmal in Warschau.

 

Erste Auswirkungen der EU-Politik sind die sog. Butterberge

Die Preis- und Abnahmegarantien der EU setzen auf den Höfen eine  regelrechte Modernisierungswelle in Gang. Die Bauern kaufen immer größerer Landma-schinen ein und die Milchproduktion erreicht immer wieder neue Rekorde.

Ergebnis der europäischen Agrar- und Milchpolitik sind riesige  Milchseen und Butterberge.  Ende der 60er Jahre mussten schon rd.  150.000 to Butter für teures Geld eingelagert werden. Auf den Feldern werden größere Mengen Dünge- und Pflanzenschutzmittel ausgebracht und in den Ställen gilt es, neue Zucht- Fütterungs- und Haltungsmethoden einzuführen. Die Milchkuh wird jetzt mit Kraftfutter auf Hochleistung getrimmt. Die jährliche Milchleistung einer Kuh erhöht sich  in der Zeit ab 1960 bis 1970 von  rd. 3410 Liter auf rd. 4.000 Liter Milch.

Zwischen den Jahren 1970 und 1980

Die in 1958 gesteckten Produktionsziele werden schnelll erreicht. Das war möglich, weil Jahr für Jahr sich die Produktivität der Höfe um rd. 7 % erhöht hat. ABER die Kehrseite der Medaille ist, dass zeitgleich viele kleine Bauern mit dem Tempo nicht mithalten können und auf der Strecke bleiben. Arbeiteten in der EU 1958 noch rd. 16 Millionen in der Landwirtschaft,  so reduziert sich die Zahl in 1970 auf nur noch 9 Millionen Beschäftigte. Mindestens jeder dritte Bauer in der EU hat seinen Hof aufgegeben. Ein großes EU-weites Arbeitsplatzver-nichtungsprogramm ohnegleichen nimmt so langsam Fahrt auf.  Aber - damit  ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht!

1970 - 1980: Das Güllezeitalter bricht an

Auf den Höfen hat sich in der Zeit zwischen 1970 und 1980 weiterhin viel verändert. Auf unserem Hof und auch bei den Nachbarn werden die Traktoren und Erntemaschinen immer leistungsfähiger. Alles muss, egal Mäh- oder Heuarbeiten, schneller gehn. Aber die größte und bis heute nachhaltigste Änderung begann  1975 mit dem Bau der ersten und von der NLG geförderten Güllekeller. In einem sog. Laufstall laufen die Kühe auf Spaltenböden aus Beton und müssen nicht mehr auf Ställen angebunden werden. Viele Landwirte und auch mein Vater standen diesem sehr Skeptisch gegenüber. Tag für Tag laufen die Tiere jetzt auf ihren eigenen Mist herum und wie kann man die flüssige Gülle auf dem Feld nährstoffreich einsetzen? Kein Wunder also, dass mit der Gülle ein dauerhaftes Problem geschaffen wurde. Neben Gülle ist es auch die Geburtsstunde der Silage. Das gemähte Gras muss nicht trocknen und kann in 2 Tagen als Silage aufgeschichtet werden. Ab 1980 wird auf den Äckern auch erstmals Mais angebaut.

Ab 1978 kommen auf den Höfen große Milchtanks mit automatischer Kühlung zum Einsatz. Nicht täglich, sondern alle 3 Tage wird die Milch von einem Tankfahrzeug abgeholt.  Die bis dahin eingesetzten Pferdefuhrwerke und Milchkannen  haben jetzt endgültig ausgedient.  Auf den Höfen werden die einheimischen Kühe nach und nach mit einer Holstein Frisian (HF) Rasse gekreuzt.  Ziel ist es, die Milchleistung  der robusten,  ostfriesischen Milchkühe zu erhöhen.

Was sonst passierte 1970 bis 1980:

1971: Transitabkommen zwischen der DDR und BDR  1972: Olympia-Attentat in München – 1973: Sonntagsfahrverbot wegen einer Ölkrise  1974: Helmut Schmidt wird Bundeskanzler, 1975: Baader- und Meinhof-Prozess  1976: Entführung des Oetker-Sohnes  1977: Ermordung von Hans-Martin-Schleyer und Entführung der Landshut  1978: Anti-Terrorgesetz tritt in Kraft  1979: Nato-Doppelbeschluss  1980: Einführung der Sommerzeit und Anschlag auf dem Oktoberfest.

Die ersten Bauern demonstrieren auf der Straße

Die Bauern haben allmählich die Nase voll. In 1971 demonstrieren rd. 50.000 Bauern in Bonn und 100.000 in Brüssel gegen die EU-Politik. Trotz Stützpreise mußte in den 70er Jahren jeder 5. Hof den Betrieb einstellen. Obgleich die EU das meiste Geld ihres Haushaltes in die Landwirtschaft steckt, geht das Bauernsterben unbeirrt weiter.

Um jetzt die Überproduktion – oder die Geister die ich rief - in den Griff zu bekommen, setzt  die Europ. Agrarpolitik auf eine Rückwärtspolitik. Die landwirt-schaftliche Produktion muss – unterstützt mit Subventionen -  wieder abgebaut werden.

 

Die EU zahlt jeden Landwirten eine Prämie,  wenn:

er seinen Hofbetrieb einstellt / seine Tiere abschlachtet (Abschlachtprämie) / oder seine landwirtschaftlichen Flächen stilllegt.

Das alles passiert frei nach dem Motto des  damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl (FDP) "Wachsen oder Weichen". Zwischen 1970 und 1980 geben bundesweit sechs von zehn Höfe den Betrieb auf. In Niedersachsen verringert sich die Zahl der Milchkuhhalter von 115.000 auf 63.500 Betriebe.  Diese Trend spiegelte sich auch in  unserer Nachbarschaft wieder.  ABER – die Geister die ich rief  sind noch immer da. Trotz dieses Arbeitsplatzvernichtungs-programms: Die Überproduktion geht weiter, da die landwirtschaftlichen Betriebe immer größer und moderner wurden. So stieg Anfang der 80er Jahre der europäische Butterberg auf eine Million Tonnen an und kosteten dem Steuerzahler richtig Geld:

 

Die Entwicklung der Landwirtschaft in Niedersachsen zwischen 1960 und 1980:

Anzahl der Milchkühe: Von 1.020.200 auf 1.080.000  Tiere

Milchleistung je Kuh: Von 3.900 Liter auf 5.150 Liter pro Jahr

Zahl der Kuhhalter: Von 200.000 Betriebe auf 63.500 Milchbetriebe

Zusammenfassend: Mehr Milch von immer weniger Bauern !

 

1980 - 2000: Die Milchquoten kommen !

Mittlerweile sind auf dem Lande viele kleine Höfe für immer verschwunden und die verbliebenen Betriebe  produzieren aufgrund der Technisierung immer mehr Milch. Auch der Maisanbau nimmt immer mehr Flächen in Anspruch. In der Milchpolitik ist Guter Rat teuer und die Geister die ich rief sind noch immer da. ABER, die Agrarminister in der EU lassen sich wieder etwas Neues einfallen:

Um den Milchüberschuss wieder in den Griff zu bekommen,  darf ab 1984 jedes EU-Land nur noch eine bestimmte Milchmenge produzieren – die  Milchquote ist geboren. Die Landwirte sind nicht unbedingt begeistert. Wenn jetzt  ein Betrieb mehr Milch produzieren will, muss er zuvor von einem anderen Landwirten dessen Milchquoten  kaufen oder mieten. Die Großbetriebe profitieren am meisten, da sie finanziell besser in der Lage sind, die Milchquoten von den Kleinbetrieben aufzukaufen. Die Bauern, die ihre Quoten verpachtet haben werden zu sog. Sofamelker.

Was sonst passierte zwischen 1980 und 2000

1980: Die Russen marschieren in Afghanistan ein, Aufstand polnischer Arbeiter in Polen 1981: Friedensdemos in Deutschland  1982: Helmut Kohl wird Bundeskanzler und Krieg um die Falkland-Inseln  1983: Wirtschaftskrisen und gefälschte Hitler-Tagebücher  tauchen auf  1984: Kießling und Flickaffäre   1985: Der Dialog der Supermächte verbessert sich  1986: Der Super-Gau in Tschernobyl und Explosion der Raumfähre Challenger  1987: Abrüstungsvertrag der Supermächte und die Barschel Affäre endet mit Tod von Uwe Barschel  1988: Unsägliches Geiseldrama von Gladbeck  1989: Jahr des Mauerfalls  1990: Deutsche Wiedervereinigung 1991: Krieg zwischen Serbien und Kroatien 1992: Umweltgipfel in Rio 1993: Clinton wird neuer US-Präsident 1994: Herzog wird Bundespräsident  1995: Österreich, Finnland und Schweden in der EU  1996: Jelzins Wiederwahl  1997: Tony Blair wird in GB gewählt  1998: Erste Rot-Grüne Koalition  1999: Osterweiterung der Nato und CDU Parteispendenaffäre  2000:Putin wird russ. Präsident

 

Kein Bauer mit ner Kuh wählt heut noch CDU - die Landwirte habenh die Nase voll !

Jetzt beginnt die Zeit, da immer mehr Bauern die Nase voll haben von der ewigen Bürokratie und Bevormundung durch die Agrarminister. Insbesondere die kleinen Betriebe fühlen sich durch die Agrarpolitik und durch die jetzt  überall durchgesetzte Flurbereinigung - bei uns wurde sie in 1980 umgesetzt - zunehmend in ihrer Existens bedroht.

Viele Bauern fühlen sich weder von der CDU/CSU noch vom Deutschen Bauernverband richtig vertreten. Auf Demos werden Transparente hochgehalten:

"Mit Kohl, Kiechle, Heereman fing bei uns die Pleite"  /  Kein Bauer mit ner Kuh wählt heut noch CDU.

Die gut ausgebildeten Landwirte werden misstrauisch, ob ein Bauernpräsident mit rd. 20 Posten in verschiedenen Konzernetagen überhaupt noch die Interessen der Landwirtschaft vertreten kann.  Frei nach dem Motto: Bauern und Bayer Leverkusen - man kann doch nicht mit beiden schmusen."

 

Allmählich wird vielen Landwirten klar: Immer mehr und zu immer billigen Preisen zu produzieren ist keine Lösung.  Aber sie stehen nicht mehr alleine dar: Auch Sozialdemokraten und Naturschützer wollen diesen Trend stoppen !

 

Die Statistik ab 1980 bis 2000: In Niedersachsen

Anzahl der Milchkühe: Von 1.080.000 Mill. auf 763.000 Mill. Tiere

Milchleistung je Kuh: Von 5.150 Liter auf 6.500 Liter pro Jahr

Zahl der Kuhhalter: Von 63.500 Betriebe auf 19.500 Milchbetriebe

 

AGENDA 2000: Billig für den Weltmarkt produzieren

Auch wieder ist es der EU nicht gelungen, die Produktion in der Landwirtschaft auf eine gesunde Basis zu stellen. Die Geister die ich rief sind noch immer da.  ABER die Brüsseler Beamte sind erfinderisch. Das neue Zauberwort heißt ab sofort: Agenda 2000. Jetzt sollen die Milchüberschüsse auf den Weltmarkt vertickert werden. Die zukünftige Agrarpolitik, verkündet der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz-Funke (SPD),  soll die Landwirte fit für den Weltmarkt machen. Um aber überhaupt mit den Weltmarktpreisen mithalten zu können,  bekommen die Milchbauern – wie kann es anders sein -  Exportsubventionen und Ausgleichszahlungen.

Viele Höfe geben auf, da sie gezwungen werden, noch produktiver zu wirtschaften. Ein Lichtblick:  Mittlerweile werden auch die ersten Ökobauern gefördert werden, die bislang kaum beachtet wurden

 

Subventionen nach Flächengrößen  

Bislang sehe ich überall, wie auch in unserem Dorf, nur Verlierer. Viele Arbeitsplätze wurden vernichtet, ganze Dorfstrukturen brechen zusammen.  Die armen Milchkühe werden zunehmend mit Kraftfutter zu Turbokühe hochgezüchtet.

Ab 2003 plante die EU,  nicht die produzierte Menge zu fördern sondern Direktzahlungen auf Basis der bewirtschafteten Flächen zu zahlen. Da machten die Franzosen beispielsweise nicht ganz mit. Im Gegensatz zu Deutschland, wo zwischen 1980 und 2013 zwei Drittel aller Höfe verloren gingen, konnten in Frankreich fast doppelt so viele Betriebe überleben.  Da haben die Franzosen mehr Weitblick bewiesen!

 

Mit gezielten Fördermitteln die Umwelt retten

In 2002 plädiert Renate Künast von den Grünen, bei der Vergabe von Fördermitteln verstärkt auch die Umwelt - Klima, Wasser und Boden - mit einzubeziehen . Die Grünen kritisieren im EU-Parlament, dass große Betriebe wesentlich mehr profitieren als Kleinbetriebe. Größere Flächen bringen einfach mehr Geld und ziehen zahlungskräftige Investoren an. Alles zum Nachteil der kleinen Betriebe.  Und auch die SPD spricht sich dafür aus, statt pauschale Zahlungen auf Flächen jetzt auf Prämien umzuschwenken und  gesellschaftliche Leistungen zu fördern. Schließlich zahlt der Steuerzahler die ganze Agrarpolitik und hat somit auch einen Anspruch auf einen Gegenwert beim Umwelt- und Tierschutz.

Gut zur Umwelt, gesund für alle" lautet die  Kampagne von der damaligen Umweltministerin Barbara Hendricks. Warum muss auf den globalen Markt mit Hilfe von Tiefspreisen ein Chinese unbedingt deutsches Fleisch essen.

Laut Hendricks liegt der Umsatz der Deutschen Landwirtschaft auf dem Weltmarkt bei 15 Prozent, verteilt sich auf nur wenige Betriebe,  aber den Preis zahlen am Ende wir alle.  Die Natur geht kaputt, weil Böden mit Nitraten und Pestiziden belastet werden. Darum, empfiehlt der Rat für nachhaltige Entwicklung, sollten diese Kosten gleich mit in die Produkte eingepreist werden.

Die Grünen  haben ebenfalls schon Pläne in diese Richtung vorgelegt. „Wir drehen das System um, wir sagen Ökoanbau ist Goldstandard, und jeder, der weniger macht, der kriegt weniger Geld“ .

 

 


Der Kampf geht weiter

Die niedrigen Preisen, allen voran durch Aldi und Lidl erzwungen, brachte die Landwirte in regelrecht Rage. Die Bauern demonstrierten vor der Werks-toren der Discounter, weil die Preisverhandlungen zwischen den Molkereien und den Lebensmittelhandel zu derart niedrigen Preisen führten, dass die Milchbauer keine Perspektive mehr sahen. Auch wenn der Deutsche Bauernverband  für faire Preise kämpfte, die Bauern in Bayern ihre Milch lieber in den Güllekeller kippten und die billige Butter  im Supermarkt für 85 Cent selbst aufgekauft haben  – letztlich haben diese Demonstrationen die Notlage der Landwirte nicht wesentlich verbessert.

Ein großer Nachteil der Landwirte ist, dass Sie bei den Preisverhandlungen zwischen den Großmolkereien und dem Handel nicht mit am Tisch sitzen. Und  der Handel als auch die Molkereien fühlen sich selbst einem enormen Preiskampf ausgesetzt. Den noch verbliebenen milchverarbeitenden Betriebe stehen mittlerweile lediglich  5 marktbeherrschenden Discounter gegenüber. Aber trotz dieser Probleme hat sich die EU in 2004 zum Ziel gesetzt, die Milchpreise für den Weltmarkt jährlich um noch weiterere 7  Prozent zu senken. Die Produktionskosten für die hohen Milchmenge in Europa sind für den Weltmarkt noch zu hoch und daher schwer zu verkaufen. Im Vergleich kann ein Landwirt in Neuseeland aufgrund der besseren Ausgangslage die Milch weitaus billiger produzieren. Da aber die Milchbetriebe in Europa schon am Limit arbei-ten, erhalten die Bauern jetzt eine sogenannte  Milchprämie.  Für jeden Liter Milch bekommt der Landwirt in 2004 rd. 1,2 Cent, in 2005 rd. 2,5 Cent usw. an Steuergeldern dazu, womit aber laut dem Bauernverband die Verluste der Betriebe nur zur Hälfte abgedeckt werden können.

 

 

2005: Die Handelsriesen und die Molkereien

nutzen die Situation der Bauern weiter aus und stellen billige Milchpackungen  für einen Preis wie in 1977 in die Regale. Sie zahlen den Milcherzeugern lediglich einen Preis von 27 Cent pro Liter Milch, obgleich die Kosten zwischen 30 und 32 Cent liegen. Zu Recht fordert der Bundesverband deutscher Milchviehhalter e.V (BDM) mindestens  40 Cent pro Liter Milch und fordern die Molkereien auf,  gegenüber dem Handel unbedingt höhere Preise durchzusetzen. Ende Mai 2008 sieht der BDM keinen anderen Ausweg mehr und organisiert u.a.  einen  Lieferstopp für 10 Tage. In 2009 folgen angesichts der Milchkrise noch weitere europa-weite Lieferstops und bundesweite Aktionen.

In 2011 beschließt die EU dann ein sog. Milchpaket: Um die Position der Milcherzeuger zu stärken, sollen sie auch Erzeugergemeinschaften gründen können um somit ihre Verhandlungsposition zu stärken.

Die Demonstrationen der Landwirte angesichts der niedrigen Preise werden  fortgesetzt. Mittlerweile werden gut 50 % der Milch - rd. 32 Mill. Tonnen exportiert. In Deutschland ist die Zahl der Milchkühe mit rd. 12,5 Mill. Kühen unverändert gleich hoch, aber die Tiere sind noch leistungsfähiger geworden. Lag die Milchleistung einer Kuh in 1930 bei rd. rd. 2.500 Liter, in 1980 bei rd. 5.500 Liter erzeugen sie rd. 8.350 Liter pro Jahr.  Eine enorme Steigerung, die nur mit auf Hochleistung getrimmten Holstein Friesian (HF) Kühen erreicht wurde. Aber zugleich hat sich das Durchschnittsalter der Kühe von einst 15 Jahren auf nur noch wenige Jahre reduziert.

Ende März 2015: Milchquoten werden abgeschafft

Trotz anhaltend hoher Milchmengen reagierte die Agrarpolitik jetzt mit einer Entscheidung, die ich nicht nachvollziehen kann – sie schaffte die Produkionsbremse bzw. die Milchquoten ab.  Sofort stocken die Großbetriebe ihre Viehherden auf und die Milchmenge stieg weiter an. Es wurde wieder noch mehr Milch (die eigentlich keiner haben will) für noch weniger Geld produziert. Sowohl unter ökologischen als auch unter ökonomischen Gesichtspunkten völlig unverständlich.

Und wenn es schon dumm läuft, kommt es noch dümmer: Russland erhält zugleich ein Importverbot für EU-Produkte – somit also auch ein Einfuhrstop für Milchprodukte.

 

Juli 2016: Jetzt will die EU will die notleidenden Bauern mit einer halben Milliarde Euro unterstützen. 150 Millionen sollen an Bauern fließen, die ihre Produktion wieder drosseln, 58 Millionen Euro davon nach Deutsch-land. Jedes Land kann entscheiden, ob kleine Höfe mehr gefördert werden oder es es Geld für weniger Milch gibt. Weiterhin wird die EU die Kosten für die Einlagerung von Magermilchpulver übernehmen. Das Programm läuft seit Sommer 2014 und soll bis Februar 2017 verlängert werden. Mit diesem Paket gewährt die EU zum zweitem Mal innerhalb eines Jahres eine Finanzspritze von satte  500 Millionen Euro.